11.01.2010

Der vergessene Weltmeister

von Coloniacs in Kallendresser #02

Albert Richter
Heimspiel für Heimspiel trifft sich die Kölner Szene »am Raum«, um sich auf das kommende Spiel einzustimmen. Dass dieser Raum am Radstadion ist, weiß jeder. Aber dass dieses Stadion Albert-Richter-Radstadion heißt, wissen wohl die wenigsten. Wer war dieser Albert Richter?

Albert Richter, der »vergessene Weltmeister«, wurde am 14.10.1912 in Köln-Ehrenfeld geboren. Er machte eine Ausbildung zum Gipsmodelleur, dem Beruf seines Vaters. Sein eigentliches Ziel war jedoch das Radfahren. Gegen den Willen seines Vaters begann er heimlich zu trainieren und fuhr bereits mit 16 Jahren seine ersten Rennen. Erst als er sich bei einem Sturz das Schlüsselbein brach, wurde sein Vater über das sportliche Doppelleben seines Sohnes informiert. Doch Albert Richter war eine starke Persönlichkeit. Er konnte sich nicht nur auf der Bahn, sondern auch gegen seinen Vater durchsetzen.

Richter galt mit 19 Jahren als der beste Amateurfahrer des Rheinlands und wurde von der Presse entsprechend umjubelt. Im Juli 1932 gewann er den »Grand Prix de Paris«, und im darauffolgenden September wurde er Weltmeister im Sprint. Ein Erfolg, den ganz Köln euphorisch feierte. Um der Arbeitslosigkeit zu entkommen, wechselte Richter im folgenden Jahr zu den Profis. Seine Erfolgssträhne hielt auch im bezahlten Radsport an: Er wurde siebenmal Deutscher Meister und zweimal Vizeweltmeister. Ist seine Geschichte bis dato eine, wie sie oft geschrieben und vergessen wird, zeigt ein Blick auf Richters menschliche Seite den Unterschied zum 08/15-Sportler auf. Als blonder, blauäugiger Siegertyp passte Richter perfekt in die Propaganda des aufkommenden Nationalsozialismus. Er wollte sich jedoch den Faschisten unter keinen Umständen anschließen und machte dies auch deutlich: Er ließ es nicht zu, dass sein Trikot durch das Hakenkreuz »verunstaltet« wurde und trug weiterhin den Reichsadler auf der Brust.

Zudem verweigerte er bei Siegerehrungen und offiziellen Veranstaltungen stets den Hitler-Gruß, was zum Eklat bei der WM 1934 führte. Nur aufgrund seiner Erfolge wurde Richter weiterhin von den Nationalsozialisten geduldet. Allerdings stand er unter strenger Beobachtung, unter anderem, weil er sich trotz Drängens der Gestapo weigerte, seinen jüdischen Manager Ernst Berliner zu verlassen.

Nach Abbruch der WM 1939 – Deutschland war kurz vor dem Finale in Polen einmarschiert, der zweite Weltkrieg hatte begonnen – wurde Richter von der Gestapo verhört. Der Staat versuchte, ihn mit seinem verbotenen Umgang mit seinem Manager zu erpressen. Berliner war zwischenzeitlich in die Niederlande geflohen, doch Richter hielt weiterhin zu ihm. Des Weiteren lehnte er die Bespitzelung anderer Sportler ab.

Aus Angst vor weiteren Repressionen packte Albert Richter an Silvester 1939 sein Hab und Gut und wollte in die Schweiz ausreisen. In die Reifen seines Rades hatte er 12.700 Reichsmark eingenäht, um sie einem in der Schweiz lebenden Kölner Juden – Alfred Schweizer – zu überbringen. Diese Methode hatte all die Jahre zuvor funktioniert. Richter konnte auf diese Weise bei seinen Rennen quer durch Europa manchen jüdischen Besitz retten. Anders jedoch auf dieser Reise. Richter war anscheinend von deutschen Kollegen an die Gestapo verraten worden. An der Grenze wurde sein gesamtes Gepäck durchsucht und das Geld gefunden. Wegen Devisenschmuggels wurde Richter festgenommen und in das Gerichtsgefängnis von Lörrach gebracht.

Am 3. Januar 1940 wollte sein Bruder Joseph ihn im Gefängnis besuchen, fand jedoch eine leere Zelle vor. Ihm wurde mitgeteilt, Albert Richter habe sich aus Scham über seine Tat in der Nacht in seiner Zelle erhängt. In Anbetracht des blutverschmierten Leichnams im Totenkeller des Gefängnisses und seiner blutdurchtränkten, löchrigen Kleidung eine zweifelhafte Todesursache. Die gleichgeschaltete deutsche Presse schrieb am folgenden Tag vom »Tod nach einem Skiunfall«. Nachdem zwei niederländische Radfahrer, die Augenzeugen der Verhaftung waren, von dieser berichteten, wurde die Todesursache kurzerhand in Tod durch »Erschießen auf der Flucht« geändert.

Erst 1996 wurde Richters Grab auf dem Kölner Melatenfriedhof zu einem städtischen Ehrengrab ernannt und die neue Radrennbahn im Sportpark Müngersdorf nach dem Sohn der Stadt benannt. Vorausgegangen war der Anerkennung seines Wirkens eine Dokumentation des NDR in den Achtzigerjahren, in der zwei Journalisten sich auf die Suche nach Spuren von Richters Schicksal begaben. In der DDR-Propaganda war Richter bereits in den Sechzigerjahren als in der NS-Diktatur umgekommener Sportler in Form von Sonderbriefmarken und als Namensgeber zweier Sportanlagen in Schwerin und Halle gewürdigt worden. Im Mai 2008 wurde Albert Richter neben 43 anderen verdienten Sportlern in die Hall of Fame des deutschen Sports der Stiftung Deutsche Sporthilfe aufgenommen.