11.01.2010

Weapons of Mass Destruction

von Coloniacs in Kallendresser #02

Weapons of Mass Destruction
Ein Klima der Angst erfüllt die Bundesrepublik. Polizei und Presse warnen vor einer Bedrohung durch gewalttätige Fußballfans. Ist es wirklich so schlimm geworden?

Privat, wie beruflich bin ich außerhalb des Fußballs viel in Nordrhein-Westfalen und im Rest des Landes unterwegs – oft auch in Städten, die aus der Sicht eines FC-Ultras als Feindesland gelten. Natürlich hab ich, wenn ich den Boden einer Stadt wie Düsseldorf, Frankfurt oder Dortmund betrete, den Fußball und die Rivalität zur Fortuna, zur Eintracht und zum BVB im Hinterkopf, doch wirklich unwohl oder gar gefährdet fühle ich mich bei weitem nicht, schließlich würde ich mich hüten, meine Szenezugehörigkeit in diesen Städten offen zur Schau zu stellen.

Meine Gedanken bei der Abfahrt am Kölner Hauptbahnhof beziehungsweise bei der Ankunft in der jeweiligen Stadt drehen sich meist um etwas anderes: Meine Bewegungsfreiheit. Dieses Gefühl ist bei mir an den Bahnhöfen dieses Landes am ausgeprägtesten. Komme ich am Wochenende mit meinen Freunden als Fußballfan in den Städten an, werde ich behandelt wie ein Krimineller, wenn nicht sogar wie ein Staatsfeind. Ich habe dann nicht die Möglichkeit, mir kurz ein Brötchen zu kaufen, nicht die Möglichkeit, mal kurz pissen zu gehen, nicht die Möglichkeit, mir kurz mal die Stadt anzusehen. Am Wochenende werde ich behandelt, als ob ich unmündig und unfähig wäre, selbst meine Wege zu bestimmen. Oft genug komme ich mir vor, wie ein Rind auf dem Weg zum Schlachter – eng eingepfercht mit Meinesgleichen, gleich gemacht mit Fans jeder Couleur, umzingelt von vermummten, aggressiven und bewaffneten Staatsdienern. Manchmal ertappe ich mich aber auch dabei, dass ich dies doch ein wenig heimlich genieße. Ich bin wahrlich kein gefährlicher Mensch, aber die Aufmerksamkeit, die meine Mitfans und ich bekommen, lässt uns so gefährlich und bedrohlich erscheinen, dass man es auf einmal selbst glaubt. Manchmal denke ich, dass sich bei vielen meiner Mitfans dieser Glaube zu sehr verfestigt hat. Bei mir nimmt das mit fortschreitendem Alter immer mehr ab.

Irgendwie mag ich auch die entsetzten Blicke der Passanten in der Stadt, in der mein FC später spielen wird, wenn sie den Kölner Pöbel erblicken – von den lallenden Suffkutten Mitte 40, den Studenten und den Werktätigen, den Familienvätern und den Verwirrten, über die Hools bis hin zum finster dreinblickenden, 14-jährigen Möchtegern-Ultrà. Alles umzingelt von einem martialischen Polizeiaufgebot – Sturmhaubengesichter mit Schlagstock im Anschlag vom Blaulicht in ein Katastrophenszenario verwandelt. Unter den Sturmhauben oft Milchbubengesichter um die 20-25, meist jünger als ich.

Wenn ich nun bei anderer Gelegenheit die Orte meines wochenendlichen Treibens aufsuche, ist es dort anders. Keine Bullenketten, kein Pöbel, keine ängstlichen Passanten und kein Suff. Alles normal, ruhig und harmlos – teilweise schön, teilweise hässlich. Die Frage, die ich mir dann immer stelle: »Ist das wirklich nötig, was wir am Wochenende über uns ergehen lassen? Ist es wirklich so schlimm geworden?«

Konni hat sicher die Antwort

Konrad Freiberg, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), würde mir meine Frage mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem klaren »Ja« beantworten, schließlich ist der werte Herr zum Sprachrohr irrwitziger Forderungen geworden. Als wirklichen Gewerkschaftsvorsitzenden kann man Herrn Freiberg nicht unbedingt bezeichnen – schließlich handelt es sich bei der GdP eher um eine Interessensvertretung, die lobbygleich versucht, Einfluss auf politische Entscheidungen und gesellschaftliche Strömungen zu nehmen. Polizisten, die sich arbeitsrechtlich vertreten lassen wollen, sind zum Beispiel in der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) im Deutschen Beamtenbund vielleicht besser aufgehoben. Selbstverständlich setzt sich auch die GdP für ihre Mitglieder ein, schließlich schafft ein gesellschaftliches Klima der Angst auch Arbeitsplätze im Bereich der Exekutive. Klima der Angst? Aber was hat das alles noch mit Fußball und Fußballfans zu tun? Nichts! Oder?

Droht ein Luftangriff auf Mönchengladbach?

Koblenz hat die Bombe. Nicht irgendeine, nein, die Atombombe. Die Jungs und Mädels vom Inferno Koblenz hatten es nach eigener Aufkleberaussage doch tatsächlich geschafft, was Kim Jong-il in Nordkorea im Jahr 2006 geschafft hat, Mahmud Ahmadinedschad im Iran versucht, und Saddam Hussein im Irak ebenfalls versucht hat. Oder hat er nicht? Noch heute sehe ich den damaligen US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen vor den vermeitlichen Beweisfotos für das irakische Atomwaffenprogramm.

Nach über sechs Jahre wissen wir ein wenig mehr. Das Atomwaffenprogramm und Massenvernichtungswaffen, die zum Kriegsgrund für den Irakkrieg wurden, existierten nun doch nicht. Der Krieg fand trotzdem statt. Ein paar Iraker (zwischen 940 000 und 1,2 Millionen) und ein paar Amerikaner (über 4 000) starben seit dem März 2003 im Irak. Nicht schlecht, für einen Krieg, der keiner hätte sein müssen. Doch es gab für den Krieg wohl auch andere Gründe, als nur die Bekämpfung eines Despoten mit Massenvernichtungswaffen. Nicht unwahrscheinlich, dass es wirtschaftliche Gründe waren. Aber was hat das alles noch mit Fußball und Fußballfans zu tun? Nichts! Oder?

Vor dem Derby gegen den VfL in Mönchengladbach erlebten wir das stärkste Polizeiaufgebot seit Jahren. Zwei Wasserwerfer, ein flächendeckendes Alkoholverbot, 131 Stadtverbote auch für Kölner Nicht-Stadionverbotler, knapp 2 000 Beamte sowie zwei Hubschrauber sollten für Sicherheit beim rheinischen Derby sorgen. Die Schreckensbilanz von 18 »schwer« demolierten Bussen des Vorjahres hatten dieses Sicherheitsaufgebot wohl nötig gemacht. Sogar der Luftraum musste gesperrt werden, um Angriffe aus der Luft zu verhindern, wie die »Rheinische Post« unter Berufung auf die Polizei mitteilte.

Back to reality

Drohten wirklich Angriffe aus der Luft? Entschuldigung, wenn ich mal so naiv nachfrage. Ticken die Leute, die so etwas behaupten und dazu noch tatsächlich niederschreiben, noch richtig? Glauben diese Menschen allen Ernstes, dass Fans Fans aus der Luft angreifen würden. Womit? Mit in Ramstein gekaperten F-14-Bombern mit Atomsprengköpfen oder doch schon mit dem neuen Lockheed Martin F-35-Tarnkappenbomber?

Natürlich würde es bei einem Derby zwischen Mönchengladbach und dem FC zu vereinzelten Übergriffen kommen, wäre die Polizei nicht anwesend. Dies zu verneinen, wäre naiv und verlogen. Trotzdem müssen sich Polizei und Politik die Frage gefallen lassen, ob dieser Einsatz im goldenen Oktober nicht doch ein wenig übertrieben war – und vor allem kostspielig. Die Summe von über 1 000 000 Euro Einsatzkosten machte die Runde. Diesen Kosten steht lediglich die Summe von 18 demolierten Bussen im Vorjahr gegenüber, welche bei weitem nicht »schwer« demoliert waren. Menschen wurden beim letzten Derby keine »schwer« verletzt oder gar getötet.

Die Kultur der Angst

Der amerikanische Soziologe Barry Glassner (»culture of fear«) und Filmemacher Michael Moore beschäftigen sich seit den verheerenden Anschlägen des 11. Septembers 2001 in den Vereinigten Staaten mit einem künstlich geschaffenen Klima der Angst – einem Bedrohungsszenario für Jedermann. »Angst wird seit Jahrtausenden so verwendet. Faschismus floriert, wenn die Leute Angst haben. Wenn die Machthaber in Ländern, die einen Rechtsrutsch herbeiführen wollen, den Leuten weismachen können, dass es wirkliche Gründe gibt, Angst zu haben, so dass sie der Regierung mehr Geld für Polizei geben sollen, mehr Geld fürs Militär, mehr Geld, um härter gegen Einwanderer vorzugehen, dann bekommen sie das auch von den Leuten«, sagte Michael Moore anlässlich der Verleihung des Jubiläumspreises der 55. Filmfestspiele von Cannes für die Dokumentation »Bowling for Columbine« über den Amoklauf von Littleton im Jahr 1999 gegenüber dem Schweizer Fernsehen.

Glassner und Moore ziehen eine düstere Bilanz für die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Frage, die sich knappe sieben Jahre später stellt: Sind wir in Europa und in Deutschland auf einem ähnlichen Weg? Haben die Menschen, die noch vor wenigen Jahren die Amis belächelnd im Kino saßen, nun auch Angst? Haben uns Schweine- und Vogelgrippe, Terrordrohungen, Schweinepest, Rinderwahn, soziale Gefälle, Krankheiten, Umweltkatastrophen, randalierende Links- und Rechtsextreme und eben »sogenannte Fußballfans« in einen vermeidbaren Sicherheitswahn getrieben? Neigen wir aus Furcht dazu, uns selbst kaputt zu regulieren?

Ich persönlich neige dazu, die Frage fast schon mit »Ja« zu beantworten, aber es wäre töricht, daraus selbst eine Angst zu entwickeln. Vielmehr sind wir dazu aufgerufen, eine Gegenmeinung zu bilden und Aufklärung zu betreiben. Es ist sicher ein schwerer Kampf, aber wenn wir den Kampf nicht annehmen, haben wir schon verloren. Es gilt Vorurteile abzubauen und zu versuchen, Mitmenschen zu erreichen. Nur so können wir gemeinsam dem Diktat der Angst entkommen, um längst verloren geglaubte Freiheiten wieder zurückzugewinnen.