09.03.2017

Legitimierung einer Parallelgesellschaft

von Coloniacs in Nachrichten


Bereits im September 2016 veröffentlichten wir folgenden Text, welcher heute aufgrund des Urteils am Oberlandesgericht Köln aktueller denn je ist.

Während seit geraumer Zeit in Deutschland teils berechtigt über die Gefahr der Bildung von Parallelgesellschaften mit religiösem Hintergrund diskutiert wird, hat der Bundesgerichtshof heute (22.09.2016) mit einem Urteil eine andere Parallelgesellschaft, die bereits wesentlich weiter fortgeschritten gewesen ist, salonfähig gemacht. Die Rede ist hier vom Deutschen Fußballbund, der mit seiner gleichermaßen äußerst fragwürdigen wie intransparenten Paralleljustiz bislang oftmals willkürlich vermeintliches Fehlverhalten von Fußballfans mit drakonischen Strafen an die beteiligten Vereine ahndete. Diese Praxis erhält nun Legitimierung von oberster Stelle, nämlich durch die Karlsruher Richter, und noch viel schlimmer: es wird damit sogar legitimiert, dass die in ihrer Höhe kaum nachvollziehbaren Strafen im nächsten Schritt von den Vereinen an diejenigen weitergegeben werden können, die durch Verstoß gegen die Stadionordnung ursprünglich den DFB auf den Plan gerufen haben.

Dass die astronomischen Summen, die der DFB in Form von Verbandsstrafen von den Vereinen fordert in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu dem eigentlichen Vergehen stehen, wird mit diesem Urteil ebenso ignoriert, wie dass eine Privatperson durch Weiterberechnung dieser Strafen in den meisten Fällen wohl Privatinsolvenz anmelden kann. Damit wird ein wichtiger Grundsatz unseres Rechtsstaates von den Karlsruher Richtern ohne mit der Wimper zu zucken außer Kraft gesetzt: die Verhältnismäßigkeit von Strafen zu dem eigentlichen Delikt, also die schuldangemessene Bestrafung.

Das Zünden einer Pyrotechnikfackel außerhalb der Silvestertage wird vor einem deutschen Gericht lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet, wenn der pyrotechnische Gegenstand eine Zertifizierung des Bundesamtes für Materialforschung besitzt und niemand dabei zu Schaden kommt. Besäße er die Zertifizierung nicht, würde das Zünden wohl als Straftat angesehen. Allerdings würde der »Delinquent« in keinem der beiden Fälle zu einer Strafe verurteilt werden, die nur annähernd von der Summe in den Regionen angesiedelt wäre, wie die weitergegebenen Verbandsstrafen des DFB, die sich meist im fünf- bis sechsstelligen Bereich bewegen und somit die wirtschaftliche Existenz der meisten Privatpersonen bedrohen und vernichten.

Wir Fans sind es leider gewohnt, dass seit Jahren im Zusammenhang mit Fußball rechtsstaatliche Prinzipien ganz gerne mal gebeugt werden, um es positiv auszudrücken. Dass aber nun ein offenkundiger Bruch rechtsstaatlicher Prinzipien von oberster juristischer Stelle seinen Segen bekommt, ist auch für uns neu. Mit derartigen Urteilen wird auf jeden Fall uns Fußballfans, die einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Lebens in den eigenen Verein stecken und damit auch Jugendarbeit betreiben, soziale Projekte anstoßen und durchführen und ein Bollwerk gegen Diskriminierung im Stadion errichten immer mehr der Boden unter den Füßen weggezogen.

Wir sind schon gespannt auf die Parallelgesellschaft, die sich in den Kurven dieser Republik breitmachen wird, wenn wir irgendwann die letzte Lust am Fußball verlieren. Wir sind auch gespannt wie Verbände, Justiz und Polizei dieser Parallelgesellschaft dann noch habhaft werden wollen. Wir werden uns dann mit einer Packung Popcorn zurücklehnen und das Schauspiel aus sicherer Entfernung in vollen Zügen genießen.

Coloniacs im September 2016