29.03.2013

Self fulfilling Prophecy?

von Coloniacs in Nachrichten


»Wer ins Stadion geht, begibt sich in Lebensgefahr«. So äußerte sich Polizeigewerkschaftsfunktionär Rainer Wendt bereits im Jahr 2009 und seit dem 21.03.2013 muss diese Aussage leider wohl räumlich auf das gesamte Stadiongelände ausgeweitet werden.

An diesem Tag verunglückten zwei Polizeihubschrauber durch aufgewirbelten Schnee beim Landeanflug im Rahmen einer groß angelegten Übung zur Sicherheit von Fußballspielen auf dem Gelände des Berliner Olympiastadions. Ein Polizist hat das nicht überlebt, weitere sind verletzt worden. Eines vorneweg. Häme und Sarkasmus sind in diesem Fall mehr als unangebracht – auch wenn das Verhältnis von Fußballfans zur Polizei oft kein einfaches ist. Ein Mensch ist um’s Leben gekommen und das Leben der Angehörigen wird mit diesem Tag nie mehr so sein, wie es einmal gewesen ist. Darüber hinaus ist bei den Verletzten noch nichts darüber bekannt, inwiefern sie nachhaltige körperliche Beeinträchtigungen davongetragen haben – seelisch werden viele von den eingesetzten Beamten wohl nicht unversehrt geblieben sein.

Gerade bei einem solch tragischen Unglück stellt sich schnell die Frage, ob es vielleicht hätte verhindert werden können? Die Antwort sollte zumindest denjenigen, die sich regelmäßig in den Kurven dieser Republik bewegen nicht schwer fallen. Denn wer sich in deutschen Stadien und Fanszenen halbwegs auskennt, wird schnell zu dem Schluss kommen, dass es kein wirkliches Sicherheitsproblem gibt. Sicherlich ist in der jüngeren Vergangenheit einiges an Pyrotechnik abgebrannt worden, dies aber in den meisten Fällen – trotz zunehmender Kriminalisierung – mit viel Bedacht auf Sicherheit. Und natürlich gab es auch den ein oder anderen Platzsturm und nicht zuletzt das ein oder andere Scharmützel. Verglichen mit dem, was noch vor 10/15 Jahren in und um die Stadien los war, ist das alles aber eher Kindergarten. Und bei näherer Betrachtung der heute an derartigen Auswüchsen beteiligten Fußballfans wird zudem schnell ersichtlich, dass nicht wenige von ihnen auch noch nicht wirklich lange die Förmchen aus der Hand gelegt haben.  So drängt sich die grundsätzliche Frage auf, warum es überhaupt von Spieltag zu Spieltag eines derart massiven Aufgebotes martialisch-ganzkörpergepanzerter Polizisten bedarf – von Reiterstaffeln und Wasserwerfern ganz zu schweigen. Sicherlich doch nicht um die paar Kiddies vom Räuber und Gendarmen spielen abzuhalten. Dass zumindest in den Planspielen der Polizei nun auch Helikopter eine Rolle spielen, die zum Mannschaftstransport verwendet werden, ist in jedem Fall eine neue Stufe der Absurdität. Derartige Fluggeräte mögen in Kriegssituationen für Soldaten oder im Anti-Terrorkampf auch für die Polizei durchaus sinnvoll sein. So bieten sie die Möglichkeit, Truppen und Einsatzkräfte schnell von A nach B und in schwer zugängliches Gebiet zu bringen. Wer sie aber einsetzen möchte, um Gleichgesinnte daran zu hindern, sich gegenseitig die Schals abzuziehen, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, mit Kanonen auf Spatzen schießen zu wollen. Überraschend ist dieser Einsatz von Kanonen jedoch keineswegs. Im Gegenteil. Das eingangs erwähnte, gut 2,5 Jahre alte Zitat des Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft ist nur ein trauriger Höhepunkt einer anhaltenden und total überzeichneten Debatte zur allgemeinen Sicherheit im Rahmen von Fußballspielen. Und die Gewerkschaft der Polizei steht mit derartigen Äußerungen keineswegs allein auf weiter Flur. Ihr und denjenigen, die sie vertritt, kann höchstens attestiert werden, dass sie den Stein vielleicht ins Rollen gebracht haben. Wer die Polizeiberichte nach Spieltagen liest, fragt sich nicht selten, ob er dasselbe Spiel besucht hat und wie er da noch einmal lebend herausgekommen ist. Und hier in Köln lässt beispielsweise Polizeioberrat Volker Lange  – Verantwortlicher für die Einsätze der Kölner Polizei in Sachen Fußball – keine Gelegenheit aus, in den Medien das Bild vom »good cop, bad fan« zu zeichnen – dies allerdings auch erst, seitdem er selber Opfer eines Angriffes aus den Reihen der Kölner Fans wurde. Aber auch der von der Polizei jährlich herausgegebene und durch ein internes Institut (Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze) erhobene Jahresbericht Fußball schwört dramatische Zustände rund um deutsche Stadien herauf. Dass die erhobenen Zahlen und die daraus getroffenen Ableitungen keinen wissenschaftlichen Standards entsprechen und als eher polizeipolitisches Instrument zu werten sind, kommt in der öffentlichen Berichterstattung aber kaum rüber. Stattdessen wird sich dieser Daten unreflektiert bedient, um die Debatte weiter aufzubauschen. Sowieso spielen die Medien das ganze Spiel in großen Teilen auch gerne mit. Anstatt den Versuch zu unternehmen, möglichst alle Parteien zu hören, um eine objektive und ausgewogene Berichterstattung gewährleisten zu können, schreiben sie oft einfach Polizeiberichte ab oder blähen Bagatellen und Ordnungswidrigkeiten zu bürgerkriegsartigen Zuständen auf. Hinzu kommt die regelmäßige Gleichsetzung des Gebrauchs von Pyrotechnik mit Gewalt. So war es auch nur eine Frage der Zeit bis dann die Politik auf den Plan gerufen war, sich mit dem »Problemfeld Fußball« zu befassen, wobei Sicherheitsexperten und Innenminister von Bund und Ländern einen wahrhaften Wettbewerb ausfochten, sich in populistischen wie unqualifizierten Forderungen und Drohungen zu überbieten. Und die Verbände nahmen und nehmen all dies als gegeben hin und gehen ihrerseits ein nicht existierendes Problem mit einem Sicherheitspapier an.

Es wundert somit nicht, dass selbst eine renommierte Moderatorin wie Sandra Maischberger Ultras als die »Taliban der Fans« bezeichnet. Von einem derart verzerrten Bild ist der Weg nicht mehr weit, Truppentransporthubschrauber für Fußball-Einsätze als probates Mittel anzusehen. In alledem liegt auch die Antwort auf die oben gestellte Frage: Ja, das Unglück hätte verhindert werden können. Es hätte verhindert werden können, wenn Polizei, Medien, Politik und Verbände nicht kontinuierlich Öl in ein Feuer gegossen hätten, das eigentlich keines ist. Dann wäre wohl auch niemand auf die Idee gekommen, eine öffentlich wirksame, großangelegte Sicherheitsübung in Sachen Fußball unter Witterungsbedingungen anzusetzen, bei denen wohl kein Fußballspiel angepfiffen worden wäre.