17.04.2013

Die besten Wünsche zum 20. Geburtstag!

von Coloniacs in Nachrichten


Kaum eine Kölner Institution kann wohl von sich behaupten, in den letzten zwei Dekaden derart prägend für das weltweite Kulturgeschehen gewesen zu sein wie Kompakt. Die »kölsche Spielart von Techno« hat es nicht nur in Europa, Asien und den USA als feste Größe in die Plattenläden und auf die Plattenteller geschafft, ihre Einflüsse sind längst in die Produktionen zahlreicher Pop-Größen mit eingeflossen. Was vor 20 Jahren mit einem Plattenladen in der Gladbacher Straße begann, ist heute Label und Host zahlreicher Sub-Labels, Vertrieb, Booking-Agentur und natürlich auch weiterhin DER Kölner Plattenladen für elektronische Musik. An dieser Stelle möchten wir diesem Kölner Aushängeschild herzlich zum 20-jährigen Bestehen gratulieren! Wer sich näher mit Kompakt auseinandersetzen möchte, dem sei unser Artikel »Sound of Cologne« aus Kallendresser #04 sowie das anlässlich des 20. Geburtstags vom Kölner Intro Magazin produzierte Video-Feature ans Herz gelegt.



Der »Sound of Cologne«

Köln ist ein Dorf. Diese liebevolle Aussage wird wohl niemand, der in Köln lebt, verneinen. In Bezug auf Elektronische Musik trifft diese Eigenschaft auf unsere Domstadt allerdings kaum zu. Köln gehörte – und tut dies sicherlich irgendwie auch immer noch – zu den Hauptstädten Elektronischer Musik. Grund genug, sich einmal näher mit unserer geliebten »Musikmetropole« auseinanderzusetzen.

Detroit, Chicago, Montreal, London, Frankfurt, Köln und natürlich auch Berlin –  allesamt Städte, deren Namen eng mit der Geschichte Elektronischer Musik verwoben sind. Städte, die in einem Atemzug genannt werden, wenn es um das Wesen der Elektronischen Musik geht. Sie haben dieses Wesen geprägt, ihm quasi den eigenen, persönlichen Stempel aufgedrückt und ihre jeweils eigenen Spielformen und Interpretationen haben längst den Weg bis in die Popmusik gefunden.

Dass Köln in diesem Konzert der Großen mitgemischt hat und auch immer noch mitmischt, mag den ein oder anderen verwundern. Beim Blick auf die aktuelle Club- und Partylandschaft der Domstadt fällt dies erst recht schwer zu glauben. Auch ein überregional bekannter Rave, wie die »Pollerwiesen«, der mittlerweile seine Veranstaltungen sogar in einem abgehalfterten Chemiekanten-Vorort ausrichtet, kann kaum alleine verantwortlich für unseren Weltruhm gemacht werden. Wenn David Day, Filmemacher und Veranstalter aus Boston, sich in seiner aktuellen Dokumentation »Speaking in Code« wie ein kleines Kind darüber freut, dass er am nächsten Tag zum ersten Mal in seinem Leben nach Köln fliegt, um dort seine Idole zu treffen, müssen die Gründe dafür wohl jenseits dieses Spektakels liegen. Und soviel sei an dieser Stelle schon gesagt: Die Gründe sind anderer und vor allem vielfältiger Natur – doch dazu später mehr…

Ein erstes Ausrufezeichen in Sachen Elektronische Musik setzt Köln bereits in den Nachkriegsjahren und leistet dabei Pionierarbeit. Im Jahr 1945 wird von der britischen Besatzungsmacht nach dem Modell der BBC der Nordwestdeutsche Rundfunk – kurze Zeit später aufgeteilt in NDR und WDR – mit den Sendestandorten Hamburg und Köln gegründet. Im Kölner Funkhaus wird 1951 das weltweit erste Studio für Elektronische Musik von dem Bonner Physiker Werner Meyer-Eppler, dem Tonmeister Robert Beyer, dem Techniker Fritz Enkel und dem Kölner Komponisten Herbert Eimert eingerichtet, das im Jahr 1952 seinen Betrieb aufnimmt. Den Begriff »Elektronische Musik« definiert Meyer-Eppler damals als »bestimmte Art des Komponierens mit technischen Hilfsmitteln, wie zum Beispiel Sinusgeneratoren, Rauschgeneratoren, Filtereinrichtungen und Magnettonbändern«. Somit stehen auch in diesem Kölner Studio keine Instrumente, sondern Messgeräte, die entsprechend zweckentfremdet werden – der erste Generator, der überhaupt klingt, erzeugt nichts anderes als Sinustöne. Dieses in Köln entwickelte Verständnis der Klangerzeugung bildet die Grundlage jeglicher heute eingesetzter elektronischer Musikinstrumente, wie Synthesizer, Sequenzer oder Drumcomputer.

Weil das Kölner Studio eine vollkommen neue Herangehensweise an das Erzeugen und Arrangieren von Klängen und somit das Betreten von Neuland ermöglicht, wirkt es wie ein Magnet auf junge, aufgeschlossene Komponisten. Der langjährige Mitarbeiter Holger Müller beschreibt die Anfänge: »Es war eine unheimlich kreative Phase, als das losging. Es war noch nichts besetzt. Es war noch nichts verboten. Man konnte endlich frei sein, und so wurde alles mögliche mit diesen Mitteln erfunden.« Einer dieser jungen Musiker ist der bei Kerpen geborene Karl-Heinz Stockhausen, der 1953 im Kölner Studio für Elektronische Musik seine erste elektronische Komposition – die »Studie I« – fertigstellt. Er leitet später das »2. Kölner Studio für elektronische Musik«, das in den 1960er-Jahren gegründet wird. Die musikgeschichtliche Relevanz dieser ersten Nachkriegsjahre fasst Holger Czukay, Schüler Stockhausens und einer der Protagonisten der weltberühmten Kölner Krautrock-Gruppe CAN, ganz gut zusammen: »Auf Grund des WDRs hatte Köln historisch gesehen eine sehr wichtige Funktion. Um diesen WDR herum hat sich die gesamte Musikszene angesiedelt. Zunächst einmal Jazz & Co. Damals waren die besten Musiker für ›Neue Musik‹ in Köln und Köln war Weltmusikstadt. Da kamen New York, London und Paris zusammen genommen nicht mit«.

Die ersten Schritte zu dem, was heutzutage als »(Neue) Elektronische Musik« verstanden wird, sind somit getan, und diese Form der Musik erreicht bereits in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren den Massenmarkt. Neben der schon erwähnten Kölner Band CAN, zählen die Düsseldorfer Formation Kraftwerk aber auch zunehmend internationale Künstler wie Brian Eno, Jean-Michel Jarre oder Giorgio Moroder zu den Protagonisten. Die Industrialszenen der späten 1970er und frühen 1980er bedienen sich ebenfalls der elektronischen Klangerzeugung und immer mehr »Bewegungen« schließen sich dem an: Electronic Body Music, New Wave, Synthi- und Elektropop, Neue Deutsche Welle, Disco, Funk, Reggae, Dub, Dancehall, Hip-Hop und Electro – alle verdanken in gewisser Weise ihre Existenz der Pionierarbeit, die in den ersten Jahren nach dem Krieg bei uns am Rhein geleistet wurde.

In Frankfurt wird dann im Jahr 1982 der Begriff »Techno« geboren – zunächst allerdings als Gattungsbegriff für die oben genanten Genres, also jegliche Schallplatten, die elektronisch produzierte Musik enthalten. Unter dieses Label fallen somit sowohl Pop-Bands wie Depeche Mode als auch EBM-Gruppen wie Front 242. Dieses Technoverständnis prägt für lange Zeit die Clubkultur in der sogenannten »Mainmetropole«.

Andere bedeutende Pioniere – zumindest für die Form von Musik, um die es in diesem Artikel vorrangig geht – sitzen jedoch weder an Rhein oder Main, sondern auf der anderen Seite des Atlantiks. In amerikanischen Metropolen werden Ende der 1980er-Jahre Spielarten Elektronischer Musik aus der Taufe gehoben, die nicht zuletzt auch Köln den Weg zu erneutem musikalischem Weltruhm ebnen und deren Nachfahren noch bis in die Gegenwart auf der ganzen Welt in Clubs für viel Unruhe sorgen: Der aus Chicago stammende House und die in Detroit entwickelte Interpretation des Techno. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ihren Weg über den Atlantik finden. Und so werden Ende der 1980er-Jahre deutsche Großstädte von einer Acid-House-Welle heimgesucht. Auch wenn die jeweilige Anzahl der Anhänger durchaus überschaubar erscheint, muss dies als der Startschuss einer Jugendkultur angesehen werden, die von nun an vorrangig von Deutschland aus die Welt erobern wird: Es ist der Anfang der Technobewegung.

In Köln geht es 1988 endlich los. Im »Rave«, einem kleinen Club am Hohenzollernring, der zunächst von Leuten aus dem Umfeld des Spex-Magazins betrieben wird, werden erste Acid-House-Parties veranstaltet. Kölner DJs der ersten Tage, wie Claus Bachor, Roland Casper oder Georg Luttermann aka DJ Rootpowder, aber auch DJs aus der Chicagoer House-Szene legen hier regelmäßig auf, und schnell wird das Rave Anziehungspunkt für die deutsche Szene. Es herrscht eine regelrechte Aufbruchstimmung zu dieser Zeit, jeder ist sich bewusst, Teil von etwas Neuem, Revolutionären zu sein. Claus Bachor: »Man war offen und hatte ein Zusammengehörigkeitsgefühl über soziale Grenzen hinweg. Es gab keine Eliten.« Auch spätere Kölner Szenegrößen gehen bereits im Rave ein und aus. Sie werden durch diese neue Form der Musik und ihrer Kultur sozialisiert und quasi auf »Technokurs« gebracht. Das Rave soll allerdings nicht lange Bestand haben. So geht die Immobilie ziemlich bald in den Besitz eines Kölner Versicherungskonzerns über und wird kurze Zeit darauf in einen Aktenkeller umgewandelt.

Die kleine Pflanze Techno ist damit aber mitnichten ausgerottet in Köln, ganz im Gegenteil. Bereits um das Jahr 1990 herum eröffnet in Bensberg der legendäre »Space Club«, und es dauert nicht lange, bis auch er nationale Bekanntheit erlangt. Schon bald steuern regelmäßig ganze Busladungen aus Frankfurt und auch aus dem benachbarten Ruhrgebiet die Partylocation an. Köln ist auf einmal in aller Munde, wird auch in der Fachpresse entsprechend gewürdigt und von ihr auf gleicher Augenhöhe mit den damaligen Techno-Epizentren Frankfurt und Berlin gesehen. Dass auch der Space Club nach nicht allzulanger Zeit schon wieder seine Pforten schließen muss, kann die der Domstadt entgegengebrachte Aufmerksamkeit nicht schmälern. Er wird kurzerhand in Bickendorf neu eröffnet und sorgt von nun an unter dem Namen »Warehouse« für noch mehr Furore. Neben den beiden Resident DJs Roland Casper und Mate Galic geben sich vor allem Frankfurter Künstler wie der damals schon überregional bekannte DJ Sven Väth die Klinke in die Hand. Diesen Frankfurter DJs reisen wiederum vermehrt ihre »Possees« hinterher, und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass schnell eine Clubkultur entsteht, die dem Frankfurter Vorbild nachempfunden ist. Diese für Köln neue Clubkultur prägen vor allem zwei Eigenschaften: Sie ist von Anfang an kommerziell ausgerichtet, und es gibt einen ersten Star-DJ-Kult samt damit verbundenem Fantum – Eigenschaften, die dem Technogrundgedanken, wie er beispielsweise in Berlin gelebt wird, deutlich widersprechen. Auch die Mitgliedsausweise, ohne die bald der Zutritt ins Warehouse verweigert wird, sind Teil dieses Kulturimports, ebenso wie der 1992 in der Kölner Eissporthalle veranstaltete Groß-Rave »Mayday«. 1994 muss dann auch das Warehouse zum ersten Mal seine Pforten schließen; spätere Versuche, es noch einmal aufleben zu lassen, werden nie wieder den Ruhm der ersten Jahre erreichen.

Wenn auch in der gesamten Republik sehr populär, ist das Warehouse vielen Kölnern auf Grund seiner Ausrichtung von Anfang an ein Dorn im Auge, wie auch der Kölner DJ, Produzent, Veranstanstalter und Label-Chef Riley Reinhold aka Triple R zu berichten weiss: »Der Kölner an sich ging gar nicht in diese Clubs. Das Warehouse wurde als Satellit von Frankfurt angesehen. Der Underground hat sich ganz extrem dagegen gestellt. Er wollte etwas Eigenes haben und mit den Leuten aus Köln Parties machen.« So gewinnt, parallel zu dieser kommerziellen Ausrichtung, das »Alternative Clubbing« in Köln an Bedeutung, dessen Idee auf das bereits Ende der 1980er-Jahre gegründete »Sirius Sound System« der Spex-Redakteure Hans Nieswandt und Dirk Scheuring zurückzuführen ist. Die Underground- und Subszenen beginnen sich zu organisieren, und es gelingt ihnen, trotz knappen Raumes, Behördenwillkür und Polizeirepression kreative Wege zu entwickeln, um illegale Parties in immer wieder wechselnden Off-Locations zu veranstalten. Wochenende für Wochenende finden derartige Events verschiedener Soundsystems in diversen Fabrikruinen statt, zu denen das Publikum meist via Mundpropaganda oder durch selbstproduzierte Flyer gelotst wird. Dazu Sascha Lazimbat – Kölner Musikjournalist für die unterschiedlichsten Szenemagazine: »Eine wundervolle, aufregende Zeit. Jedes Wochenende fährt man mit einem schlecht kopierten Flyer in der Hand durch irgendwelche Industriegebiete, hört bald schon die Bässe und ist endlich an dem Ort angekommen, an den man hingehört. Da wo sich alle treffen, die dasselbe fühlen: diese unwiderstehliche Anziehungskraft der Four-To-The-Floor-Bassdrum.«

Das berühmteste der Kölner Soundsystems ist das im Jahr 1991 gegründete »Cosmic Orgasm«, das um die DJs Sascha Kösch, Riley Reinhold und Georg Lutterman die gleichnamigen Techno-, House- und Breakbeat-Parties organisiert. Diese Veranstaltungen finden in den unterschiedlichsten Locations statt. So sind brachliegende Industriehallen im Rechtsrheinischen ebenso Austragungsort wie besetzte Häuser in der Kölner Innenstadt. Neben der stilistischen Offenheit und dem brachialen Sound ist wesentliches Merkmal der Cosmic Orgasm-Parties eine absolut überdimensionierte Anlage, die mit hochfrequenten Stroboskopen und Nebelmaschinen in Dauerbetrieb kombiniert wird. Bei Cosmic Orgasm ist es unmöglich, die Hand vor Augen zu sehen, während sich die Bässe durch die Magengrube wühlen. Die Macher dieser Events sehen das Auflegen von Techno als Rebellion und politische Motivation zugleich an. Sie stellen sich ganz klar gegen die etablierte Clubkultur, wie sie im Warehouse gelebt wird, und bekennen sich ebenso deutlich zu ihren Rock’n’Roll-Wurzeln, die auch das anwesende Publikum widerspiegelt. Riley Reinhold: »Die konnten uns alle mal! Wir waren in der Lage, das alles selbst zu machen, und brauchten dazu auch keinen Club, der uns sagt, was wir zu tun hätten. Party bedeutete für uns nicht das Abschleppen von Frauen, sondern es ging darum, ›korrekte Musik‹ hören zu können.« Weiter geht es den Veranstaltern auch nicht darum – wie in der Frankfurter Clubkultur –, kommerzielle Erfolge mit ihren Parties zu erzielen. Mit Eintrittspreisen zwischen 2,50 DM und 3,00 DM werden lediglich die eigenen Kosten gedeckt. Im Laufe der Jahre werden schließlich die Intervalle zwischen den Cosmic Orgasm-Parties größer. Vereinzelt finden noch Veranstaltungen in den KHD-Hallen in Deutz statt oder im Ehrenfelder »Underground« die jährliche Karnevalsalternative »72 Stunden Cosmic Orgasm« – eine Party, die freitagabends beginnt und erst sonntagabends wieder endet. Ende der 1990er-Jahre ist dann endgültig Schluss; die Protagonisten werden jedoch im Laufe der Jahre weiterhin eine tragende Rolle in Bezug auf die weltweite Bekanntheit des »Sound of Cologne« spielen und tun dies zum Teil noch bis zum heutigen Tag.

Das Konzept der Off-Locations wird in Köln jedoch nicht nur durch die hiesigen Musikschaffenden gelebt. Es kommt auch immer wieder dazu, dass Musiker von außerhalb die für heutige Verhältnisse relativ schlechte Organisation von Polizei und Ordnungsbehören ausnutzen. Brach liegende Industrieanlagen werden kurzerhand besetzt, um dort Parties zu veranstalten. Als besonderes Highlight sei an dieser Stelle das französische »OQP Sound System« erwähnt, das im Winter 1994 seinen Weg in unsere Domstadt findet: ein Haufen Punks, die in jenen Tagen mit ihrer Anlage und einem alten Militärtransporter durch Europa tingeln und in Fabrikruinen harte Acid-Parties veranstalten. Innerhalb weniger Wochen finden drei Parties in Ehrenfeld und Mülheim statt. Diese werden nur via Mundpropaganda kommuniziert; der Eintritt ist frei, und Geld wird nur durch den Verkauf von Getränken, LSD und Mixtapes erwirtschaftet. Die Wahl der Locations erinnert an einen Kriegsschauplatz: eingefallene Mauern, riesige Pfützen mitten auf der Tanzfläche, brennende Ölfässer und zuckendes Stroboskoplicht, das die »Exploited-Iros« der französischen Protagonisten erst richtig in Szene setzt. Das Publikum ist sehr heterogen. Neben den üblichen Ravern findet sich auf diesen drei Parties ein hoher Anteil »auf Platte« lebender Kölner Punks ein.

Auch das »Produzierende Gewerbe« innerhalb der Kölner Szene macht schnell von sich reden. Einige der heutigen Protagonisten des »Sound of Cologne« fangen bereits zu diesem frühen Zeitpunkt an, neue Wege in der Elektronischen Musik zu beschreiten beziehungsweise zu definieren und damit der Kölner Interpretation von Techno ein erstes Antlitz zu verleihen. Zwei heute noch wichtige und mittlerweile international bekannte Persönlichkeiten der elektronischen Musikszene sind Wolfgang Voigt und Thomas Burger. Sie lernen sich bereits Mitte der 1980er-Jahre zu NDW-Zeiten kennen, da beide ihre Proberäume im besetzten »Stollwerck«, der ehemaligen Schokoladenfabrik in der Südstadt, haben. Beide gehören von Anfang an zum Publikum des Kölner Klubs »Rave« und lassen sich zunächst vom Acid-House-Boom mitreißen. Schnell gründen sie gemeinsam erste eigene Labels, auf denen sie ihre Musik veröffentlichen: »Trance Atlantic« und »monoCHROME«. Gemeinsam mit Gregor Luttermann und Andreas Bolz aka »Bolz Bolz« gründen sie die Acid-Formationen »Dog Star Man« und »Formicla 4«, veröffentlichen ihre Tracks auch auf Labels in Frankfurt und Belgien und spielen erste Live-Gigs in Berlin, Hamburg, Bern und Köln.

Aber Acid-House bleibt nicht lange im Fokus. Relativ bald richten sie ihre Aufmerksamkeit auf die Detroiter Spielart des Techno. Wolfgang Voigt: »Wir waren stark beeinflusst von den Early-90s-Detroit-Sachen, die von Leuten wie Jeff Mills kamen. So etwas wollten wir auch machen, allerdings auf unsere eigene Art mit dem Cologne-Slang.« Auch entstehen erste Verbindungen nach Frankfurt, wo sich ebenfalls eine Alternativszene zur dortigen Clubkultur entwickelt. Über Andreas Bolz lernen Voigt und Burger die damals in der Mainmetropole ansässigen Produzenten Cem Oral aka »Jammin’ Unit« und Ingmar Koch aka »Dr. Walker« kennen, die sich zu Zweit seit 1992 unter dem Pseudonym Air Liquide einen Namen machen. Der Kontakt zu beiden ist sehr fruchtbar und schnell ist die Rede von der Technoachse Köln–Frankfurt. In kürzester Zeit entsteht eine Vielzahl an Labels, auf denen befreundete Produzenten eine Heimat finden; unzählige eigene Technoprojekte werden wiederum auf diversen anderen Labels veröffentlicht. Besonders hervorzuheben sind an dieser Stelle die Veröffentlichungen auf dem Frankfurter Avantgarde-Technolabel Force Inc..

Die Tatsache, dass in Köln der Veranstaltungsbereich floriert und eine blühende Landschaft an Technolabels entsteht, zieht viele Produzenten und Musiker aus Deutschland, später dann aber auch aus dem Rest der Welt in die Domstadt. Daneben siedeln sich mit den Jahren immer mehr DJs in Köln an. Einer der ganz frühen »Immi-DJs« ist Tobias Thomas, den es 1992 von Süddeutschland aus nach Köln zieht. Es soll nicht lange dauern, bis sein DJ-Kollege Michael Mayer – mit dem er bereits in Achern in der badischen Provinz regelmäßig zusammen aufgelegt hat – nachkommen wird. Zunächst unter der Bezeichnung Friends Xperiment Sound System machen sich beide in Köln einen Namen und lernen die hiesige Techno- und Houseszene kennen. Von 1995 bis 1998 veröffenlichen sie zusammen mit Reinhard Voigt – dem jüngeren Bruder Wolfgang Voigts – unter dem Pseudonym Forever Sweet zunächst in Eigenregie, dann auf dem Hamburger Label Ladomat zahlreiche House- und Technotracks. Auch die einheimischen DJs entdecken zunehmend das Medium Vinyl als Kanal für eigene musikalische Ideen. Riley Reinhold veröffentlicht seine Tracks seit 1994 auf verschiedenen Labels. Zu dieser Zeit beginnt er auch, als Musikkritiker für die Magazine Spex und Frontpage zu arbeiten. Nach der Insolvenz des letztgenannten wechselt er zum inoffiziellen Nachfolgemagazin de:Bug.

Mit der stetig wachsenden Anzahl an DJs steigt der Bedarf an Orten, an denen sie ihre Schallplatten kaufen können. Ein für den »Sound of Cologne« relevantes Ereignis findet im Jahr 1993 mit der Eröffnung des Plattenladens Delirium durch Jörg Burger, Wolfgang und Reinhard Voigt sowie Jürgen Paape statt. Die Räumlichkeiten befinden sich zunächst auf der Gladbacher Straße, ab 1995 in der Brabanter Straße im Belgischen Viertel. Um diese Zeit herum steigt auch der DJ Michael Mayer in die Geschäfte mit ein, der seit seinem Umzug in die Domstadt ein freudschaftliches Verhältnis zur hiesigen Delirium-Crew pflegt. Der Laden funktioniert in den ersten Jahren noch nach einer Art Franchiseprinzip – das Mutterunternehmen sitzt in Frankfurt –, wobei die einzelnen, in der Republik verteilten Filialen sich in ihrem Sortiment stark voneinander unterscheiden. Stilistisch ist die Auswahl im Kölner Delirium klar an den Vorlieben seiner Eigentümer ausgerichtet. So wird auch hier versucht, primär Musik mit dem gewissen »Cologne-Slang« an den Mann zu bringen: eigene Labels, Labels aus dem Freundes- und Bekanntenkreis und ausgewählte Platten aus Übersee füllen die Regale. Schnell wird das Delirium zu einem beliebten Treffpunkt der Szene, bietet es doch den idealen Raum für regen Austausch kreativer Ideen jenseits der lauten Tanzflächen. Durch die Ansiedlung im Belgischen Viertel liegt das Delirium von nun an nur noch einen kurzen Fußweg entfernt von den drei anderen für die Szene wichtigen Plattenläden für Elektronische Musik: dem Groove Attack in der Maastrichter Straße, Formic Records auf der Venloer Straße und dem a-Musik-Laden am Brüsseler Platz. Die Zielgruppen der vier Läden, und somit ihre Szenen, unterscheiden sich deutlich voneinander. Nicht zuletzt dadurch entsteht keine Konkurrenz, sondern eine freunschaftliche Kooperation, die sich wiederum fruchtbar auf die Produktionen der in ihrem Umfeld angesiedelten Musiker auswirkt.

Das wohl wichtigste Ereignis in der Geschichte des Kölner Delirium markiert seine Abspaltung von der Delirium-Kette im Jahr 1998 und die damit verbundene Umbenennung des Ladens in Kompakt. Mit der Umbenennung einher geht die Gründung des Plattenlabels Kompakt und daraus resultierend ein Vertriebskonzept für die von nun an steigende Anzahl an Sublabels und Labels unter dem eigenen Dach. So fungiert Kompakt nicht mehr nur als Ort, an dem Platten eigener und befreundeter Labels gehört und gekauft werden können, sondern trägt ab jetzt auch dafür Sorge, dass diese Tonträger weltweit in den für die Szene relevanten Plattenläden erhältlich sind. Diese Entwicklung gibt der Wahrnehmung der kölschen Interpretation von Techno einen bedeutenden Schub, was Wolfgang Voigt retrospektiv folgendermaßen einordnet: »Es gibt und gab etwas, was Mitte der Neunzigerjahre irgendwann international berühmt geworden ist, was man heute ›Sound of Cologne‹ nennt. Da wurde ein bestimmter minimalistischer Technosound, für den Kompakt nicht ganz unverantwortlich war, erfolgreich, und speziell die englische Presse glaubte, dass das Mekka der elektronischen Musik in Köln ist.«

Die Labels im hauseigenen Vertrieb sind vielfältiger Natur, ebenso wie die Köpfe dahinter. Bereits 1998 gründet Riley Reinhold, der mittlerweile auch für Kompakt arbeitet, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Jacqueline Klein das Label Traum Schallplatten. Inspiriert wird er durch eine Argentinientour für das Goethe-Institut, auf der er viele einheimische Musiker kennenlernt, die er auf seinen ersten Veröffentlichungen unterbringt. Im Jahr 2000 kommt das Traum-Sublabel »Trapez« hinzu, 2003 dann My Best Friend (MBF). Ein weiteres Highlight im Kompakt-Vertriebskatalog stellt über fünf Jahre hinweg das im Jahr 2000 gegründete Label Sub Static der Kölner DJs und Produzenten Falko Brocksieper und Michaela Grobelny aka M.I.A. dar, aus dem später noch das Sublabel Karloff Recordings hervorgeht. Ebenfalls Labels aus den frühen Tagen des Kompakt-Vertriebs sind Treibstoff Recordings des Kölner DJs Marcel Janowski, Areal Records von Michael Schwanen aka Metope oder das schon 1997 gegründete Label Ware des Kölner DJs Matthias Schaffhäuser.

Nicht zuletzt die zahlreichen im Vertrieb angesiedelten Labels und die von ihren Machern veranstalteten Parties führen dazu, dass sich in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre immer wieder Künstler und Produzenten aus dem Ausland in Köln ansiedeln. Besonders in Kanada scheint zu dieser Zeit die Domstadt einen exzellenten Ruf zu haben, dem der ein oder andere schließlich auch folgt. Exemplarisch sei hier Sheldon Thompson erwähnt, der unter den Pseudonymen Sid LeRock, Gringo Grinder oder Pan/Tone von sich Reden macht und durch das Label Sub Static in Köln eine Heimat findet. Mit der Zeit werden auch immer mehr nicht in Köln ansässige Labels in den Vertrieb aufgenommen, so dass der aktuelle Katalog eine bunte nationale und internationale Mischung wiederspiegelt.

Auch im Veranstaltungsbereich sind Kompakt und seine Macher früh aktiv. Schließlich bieten eigene Veranstaltungen die Möglichkeit, das eigene musikalische Verständnis unmittelbar an die Besucher weiterzugeben. Bereits die im Kunsthaus Rhenania durchgeführte »Lichtblick«-Reihe verfolgt dieses Prinzip mit äußerster Vehemenz. Das extremst monotone und minimale Soundgewummer im Stil der Studio-1-Veröffentlichungen harmoniert nahezu perfekt mit dem Beton-Kellergewölbe des ehemaligen Lagerhauses im Kölner Rheinauhafen. Die Total Confusion wiederum, die von Michael Mayer und Tobias Thomas ab 1998 jeden Freitag im Studio 672 unter dem Kölner Stadtgarten ausgerichtet wird, wird schnell zur wohl berühmtesten Clubnacht Deutschlands. Mit dem ursprünglich aus Ulm stammende DJ und Kompakt-Produzenten Aksel Schaufler aka »Superpitcher«  stößt noch ein dritter Resident DJ hinzu. Im Sommer 2006 ist erst einmal Schluss – die Total Confusion macht eine Kreativpause – um ab Ende 2007 im Bogen 2 unter der Hohenzollernbrücke von nun an im monatlichen Rythmus wieder den Ton anzugeben. Das Team wird um die Kompakt-DJs Jo Sauerbier und Jan-Erik Kaiser, der ursprünglich dem Areal Records-Umfeld entstammt, erweitert. Auch wenn sich die Total Confusion selbst nicht als Kompakt-Partyreihe versteht, wird sie doch wie keine andere Veranstaltung mit dem Kompakt’schen Habitus in Verbindung gebracht. Eine Party, die hingegen zu einhundert Prozent Kompakt ist, ist die »Total«-Reihe. Sie ist quasi die Release-Veranstaltung zur gleichnamigen, jährlich erscheinenden Doppel-LP-Compilation. Das Line-Up der Veranstaltung ist konsequenterweise deckungsgleich mit den Interpreten, die die Tracks zu der Platte beisteuern.

Die Vielzahl und Vielfalt an Produzenten und Musikern, die sich auf Grund der verschiedenen Aktivitäten der kölschen »Techno-Firma« mittlerweile im Umfeld von Kompakt bewegen, bildet die Basis für eine weiteres Betätigungsfeld. Kompakt tritt als Bookingagentur für seine Künstler gegenüber Veranstaltern auf und sorgt somit dafür, dass sie als DJs oder Live Acts regelmäßig auf Parties rund um den Globus zum Einsatz kommen. Von Künstlern wie Ada über DJ Koze oder Dominik Eulberg bis hin zu den Jenaer Wighnomy Brothers erstreckt sich das Artist Rooster.

All dies macht Kompakt heute zu einem weltweiten Inbegriff für den »Sound of Cologne«. Die globale Präsenz von Platten und Protagonisten des Kölner »Techno-Imperiums« haben den minimalistischen Sound, der einst dem Undergroud entsprang, längst salonfähig werden lassen. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Michael Mayer nicht nur mit seinem Plattenkoffer um den Globus jettet, sondern auch im Tonstudio Remixe für Weltstars wie die Pet Shop Boys oder Depeche Mode produziert.

Doch nicht nur die minimalistische 4/4-Bassdrum, die bei Kompakt zur kölschen Vollendung werden sollte, hat Köln zu einem Leuchtturm der Elektronischen Musik werden lassen. Gerade die 1990er-Jahre stehen in der Domstadt auch für eine Ära der gebrochenen Beats. Um Thomas Thorn und das Musikprojekt Air Liquide von Cem Oral und Ingmar Koch finden die legendären »Electro Bunker Cologne«-Veranstaltungen statt. Breakbeat ist die treibende Kraft, und schnell kristallisiert sich eine eigene Kölner Spielart heraus, die sich durch monotone, angezerrte und mit viel Noise versehene Beat Patterns auszeichnet. Mit einem jährlichen Electro Bunker-Open Air im Kölner Jugendpark sowie unzähligen Veranstaltungen im Kunstwerk wird Electro Bunker schnell zum Inbegriff der Kölner Breakbeatkultur. Dennoch sind von Anfang an auch andere Spielarten mit von der Partie. So beschallen auch 4/4-Protagonisten wie das DJ-Team Friends Experiment um Michael Mayer und Tobias Thomas, Triple R, Strobocop oder Tina 303 die Floors des Electro Bunkers. Um die Keimzelle herum siedelt sich eine Vielzahl internationaler Musiker an, deren kreativer Output sich in zahlreichen Veröffentlichungen und Veranstaltungen manifestiert. Szenegrößen wie die New Yorker Frank Heiss oder Freddy Fresh zieht es bald in die Domstadt – sei es, um hier aufzutreten oder gleich gänzlich sesshaft zu werden. Beide stark durch die New Yorker HipHop-Kultur beeinflusst, erweitern sie den Kölner Breakbeat um weitere Facetten. Gerade Heiss ist ein wahrer Beatbastler, der ein Maximum aus seinen Akai-Samplern herauszuholen weiß. Er wird zur Inspirationsquelle für die ansässige Musikszene.

Mit New York ist auch ein anderer Meilenstein in diesem Umfeld eng verwoben. Cem Oral und Ingmar Koch halten sich Anfang der 1990er-Jahre für ein Dreivierteljahr im Big Apple auf und lassen sich von einem Underground-Modegeschäft mit dem Namen »Liquid Sky« begeistern. Kurzerhand erwerben sie die Deutschland-Lizenz, und bei einem New-York-Besuch Thomas Thorns spinnen sie gemeinsam die Pläne für einen Modeladen in Köln. Der Grundstein für »Kölns bekanntestes Wohnzimmer« ist gelegt. Wieder in Köln mietet Thorn eine ehemalige persische Disco in der Kyffhäuserstraße an. Doch anstatt eines Modegeschäfts entsteht hier eine Bar: das Liquid Sky Cologne. Mit dem Namen schafft es auch das Logo – das legendäre Astrogirl eines mittlerweile verstorbenen New Yorker Künstlers – über den Atlantik in die Domstadt und erlangt bereits nach relativ kurzer Zeit weltweite Bekanntheit. Das Liquid Sky ist in aller Munde, es entsteht ein eigenes Label mit zahlreichen Veröffentlichungen der Liquid Sky-Possee, und es wird schnell zu dem Anziehungspunkt in Köln für Gäste aus der ganzen Welt, die sich für Elektronische Musik begeistern. Irwin Leschet: »Interessant war dort, dass man im Liquid Sky gerne mal die Crème de la Creème der internationalen Elektroszene an der Bar getroffen hat, sei es Atom Heart, Jimy Tenor usw.« Ein zum Teil in Schwarzlicht getauchter, dunkler, total verrauchter schlauchartiger Raum, die Wände mit unzähligen Tags und Grußbotschaften bemalt, eine Vielzahl alter Sofas, Gelsenkirchener Barock und haufenweise Kitsch – das macht den einzigartigen Charme dieser Kult-Location aus.

Auch die Kölner Szenen finden hier eine neue Heimat. Auf Grund der Tatsache, dass nahezu keine inhaltlichen Beschränkungen existieren, hat fast jede in Köln ansässige Spielart der Elektronischen Musik ihren eigenen Abend im Liquid Sky. So wird es zu einem Schmelztiegel der verschiedenen Genres und zu einem Ort des Austauschs untereinander, was die Ausgestaltung der einzelnen elektronischen Musikrichtungen wiederum mit prägt. Michael Mayer: »Es gab so eine Phase (…), dass eben das Liquid Sky fast der einzige Raum war, in dem abwegige Musik stattfinden konnte. Dadurch gab’s schon so eine Zeit des Hardcore-Austauschs oder zumindest des gemeinsam Hardcore-Trinkens zwischen den Parteien, zum Beispiel mit a-Musik. Jeder hat schon für sich gearbeitet, aber man hat sich halt privat öfter im Liquid Sky getroffen.« Konzerte verschiedenster Electronic Live Acts sind an der Tagesordnung. Dr. Walker stellt hier ebenso seine neuesten Beatkompositionen vor wie die Krautrocklegende Holger Czukay. Neue Generationen an Kölner Musikern rücken nach: Don Quisoht, Irwin Leschet, Wicked, Peta, Catya und DJ Link. Das Liquid Sky bietet den Raum, um das eigene Verständnis von Elektronischer Musik auszuleben und auszutauschen. Und so wird mit der Zeit auch rund um die Uhr in der Bar gearbeitet. Wenn im Liquid Sky um 1.00 Uhr das Licht angeht und die Pforten schließen müssen, bleibt immer noch ein Teil der Leute da, um neue Ideen und Konzepte auszuarbeiten. Zum Teil gehen diese »Sitzungen« im »eigentlichen Liquid Sky«, wie Irwin Leschet diesen Zeitraum bezeichnet, bis 19.00 am folgenden Abend, wenn die Rollläden für die Besucher wieder hochgelassen werden.

Ein Ergebnis dieser fruchtbaren Aufeinandertreffen ist das Battery Park-Festival, das 1997 von Koch und Thorn erstmals in Köln veranstaltet wird. An zehn Tagen finden gut zwei Dutzend Veranstaltungen in sieben verschiedenen Kölner Locations statt. Auf dem Festival spielt jedoch nicht nur das gesamte Liquid Sky-Umfeld. Auch zahlreiche bekannte ausländische Musiker, wie zum Beispiel Aphex Twin, kommen nach Köln, um auf diesem Event zu spielen. Gagen gibt es keine, lediglich Anreise und Unterkunft werden bezahlt, um die Eintrittspreise möglichst niedrig halten zu können. Neben den Parties sind Plattenbörsen, Synthesizer-Flohmärkte aber auch Musikworkshops, bei denen die Protagonisten der Szene ihr Wissen weitergeben, ein fester Bestandteil der Battery Park-Festivals. Alles in allem ein voller Erfolg! Dennoch trägt sich das Festival wirtschaftlich nicht und kann im Folgejahr nur auf Grund der guten Kontakte zur Kölner Kulturförderung erneut durchgeführt werden.

2003 schließt dann das Liquid Sky Cologne, das zwischenzeitlich von der Kyffhäuser- auf die Luxemburger Straße umziehen musste, endgültig seine Pforten. Die Gründe hierfür sind nicht wirklich bekannt. Es kursieren aber die wildesten Spekulationen, die von inneren Zerwürfnissen über Veruntreuung der Finanzen bis hin zu Drogenwahnsinn einstiger Betreiber reichen. Auch vier letzte Save Astrogirl-Benefizparties unter der Mülheimer Brücke können das Ende nicht mehr abwenden, das einen herben Rückschlag für die Kölner Elektronikszene bedeutet. Dennoch machen einige Protagonisten auch in den 2000er-Jahren noch weiter von sich reden. Welchen Weg das DJ-Team Friends Experiment eingeschlagen hat, wurde weiter oben schon beschrieben. Ingmar Koch eröffnet in der Altstadt mit dem Club Camouflage ein Künstlerhotel, in dessen Kellerräumen über Jahre hinweg Parties veranstaltet werden. Doch auch das ist mittlerweile wieder Geschichte, und Koch lebt in Berlin, wo er derzeit Pläne für ein Liquid Sky Berlin schmiedet. Riley Reinhold und Thorsten Lütz aka Triple R und Strobocop sind seit 1996 Resident DJs der Partyreihe Kämpfer, die seinerzeit im Kunstwerk ins Leben gerufen wurde. In den 2000ern erfolgt dann der Umzug in den Sensor Club und das DJ-Team wird mit epop um einen weiteren Resident ergänzt, der zuvor mit tekhouse köln eigene Partyreihen veranstaltet hat, aber auch zusammen mit Axel Vollmer als Techno-Live Act Matula auftrat. Irwin Leschet veranstaltet die auch heute noch sehr erfolgreiche Partyreihe Silberschwein.

Eine neue Generation von Musikern nutzt nun den Raum, der durch das Verschwinden der Institution Liquid Sky entstanden ist, um eigene Konzepte und Projekte zu verwirklichen. Namen wie Marc Lansley, Shumi, Und Ich, Judith Theiss oder Sascha Mikloweit werden fester Bestandteil im Kölner Nachtleben zwischen Six Pack, Subway, Barracuda Bar und dem Gewölbe am Westbahnhof. Was sie dabei eint, ist eine gewisse Abkehr vom Dogma und Klischee des Sound of Cologne. Sie nehmen den Ernst aus den mittlerweile stark verkopften Strukturen der Musikkultur ein Stück weit heraus und kreieren dabei eine neue Interpretation von kölscher elektronischer Musik.

Retrospektiv betrachtet stellen die 2000er-Jahre jedoch einen Tiefpunkt dar, was die elektronische Musikkultur in der Domstadt angeht. Das erklärt sich zu einem Teil durch den immensen Berlin-Hype und die damit verbundene Anziehungskraft auf die Kulturszene. Während das hiesige Ordnungsamt unter der neuen CDU-Regierung einen Club nach dem anderen dicht macht und eine immer härtere Gangart gegenüber den Kulturschaffenden an den Tag legt, scheint im großen Berlin nahezu alles möglich zu sein. Dazu Wolfgang Voigt: »Wenn Du in Köln einen Club aufmachen willst, musst Du dreimal den Bürgermeister bestechen und echt viel Geld auf der Kante haben. In Berlin trittst Du irgendwo eine Tür ein, machst eine Bar auf und schon hast Du einen geilen Schuppen.« So ist die Liste der DJs, Produzenten und Live-Acts, die innerhalb der letzten zehn Jahre Köln in Richtung Berlin verlassen haben, eine schier endlose. Doch auch das generelle Kulturverständnis der Stadtoberen unterliegt unter Schramma einem starken Wandel, was sich negativ auf die Szene auswirkt. Von nun an ist »Mehr Schein als Sein« das Motto. Man schmückt sich mit Mainstreamprojekten und zieht dabei gleichzeitig der Subkultur jeglichen Boden unter den Füßen weg. Sonig-Chef Frank Dommert: »Das Schwierige ist, dass Köln sich nach außen gerne als Kulturstadt präsentiert und auch damit wirbt, auf der anderen Seite aber viele kleine Initiativen unterdrückt.«

Mittlerweile scheint die Club- und Barlandschaft Köln auf einem absoluten Tiefpunkt angekommen. Wer jedoch denkt, die Talsohle sei erreicht, irrt gewaltig. Dank anhaltender und aktiv geförderter Gentrifizierung ist Ehrenfeld der nächste Stadtteil, der kulturell ausgeblutet wird. Die hier in den letzten Jahren entstandene Clublandschaft wird in den nächsten Monaten den Baggern weichen müssen. Papierfabrik und Sensor Club machen im März den Anfang. Der Eigentümer GAG plant, das Areal zunächst dem Erdboden gleich zu machen, um dann eine Wohn- und Bürosiedlung dort zu errichten. Aber auch andere Ehrenfelder Clubs werden in Kürze Bekanntschaft mit der Abrissbirne machen. Das Gelände rund um das Underground soll zu einem Einkaufszentrum nach amerikanischem Vorbild umfunktioniert werden.

Doch nicht nur das Raumangebot für Kultur wird durch solche Projekte negativ beeinträchtigt. Derartige Baumaßnahmen bringen eine »Aufwertung« der jeweiligen Stadtteile mit sich, was drastische Erhöhungen der Mietpreise für privaten Wohnraum zur Folge hat. Auch dies wird letzten Endes zu einer weiteren Abwanderung von Kulturschaffenden führen. Schlammpeiziger, Künstler des Labels a-Musik, beschreibt dies am Beispiel der Kölner Südstadt: »Was ich in Köln mittlerweile vermisse, ist eine aktive, junge und auch experimentelle Elektronikszene. Und das ist noch nicht das Ende. Es wird noch schlimmer werden. Köln wird zur totalen Medienstadt. Was die da zurzeit am Rheinauhafen hinsetzen, das wird alles sehr yuppiemäßig. Die Mieten sind zum Kotzen hoch. Köln soll anscheinend die sauberste und die sicherste Stadt Deutschlands werden.«

In Köln ist in Bezug auf Elektronische Musik viel passiert. Die Stadt hat sich einen Weltruhm aufgebaut, von dem sie bis heute zehren kann. Dass jedoch aller Ruhm vergänglich ist, sollte auch dem letzten Bürokraten im Kölner Rathaus bekannt sein. So bleibt zu hoffen, dass dort irgendwann die Erkenntnis reift, welches Juwel im Kölner Untergrund schlummert, und dass dieser Erkenntnis dann auch die notwendigen Konsequenzen folgen.

Es wäre schließlich schön, wenn im »Kallendresser« irgendwann darüber berichtet werden könnte, welch großen Einfluss doch der Sound of Cologne in den 2010er Jahren auf die Elektronische Musik weltweit hatte…