20.08.2009

Kallendresser

von Coloniacs in Kallendresser #01

Der "Kallendresser"
Kalle… – was? Der Name des Hefts führt mit Sicherheit dazu, dass sich auf der Stirn einiger Leser größere oder kleinere Fragezeichen bilden und sich der eine oder andere fragt, was es mit diesem Namen wohl auf sich hat – insbesondere dann, wenn sich der Leser nicht mit der Kölner Geschichtsschreibung oder »Kölner Kuriositäten« auskennt. Um die Wahl dieses ungewöhnlichen Namens und dessen Bedeutung zu erläutern, folgt an dieser Stelle eine kurze Einführung in die Kölner Geschichte sowie zur Figur und Bedeutung des »Kallendressers«.

Wer in Köln über den »Alter Markt« schlendert und den Blick in Richtung Himmel schweifen lässt, der kann – wenn er sehr aufmerksam ist und ganz genau hinsieht – eine sehr ungewöhnliche Skulptur am Dach des Hauses Nummer 24 entdecken. Dort hockt eine Figur aus grünem Kupferblech in zweifelsfreier Pose: Spärlich bekleidet streckt sie den Fußgängern auf dem Alter Markt ihren blanken Hintern entgegen, um in aller Öffentlichkeit ihr Geschäft zu verrichten: der Kallendresser. Doch nicht nur für Nicht-Kölner ist dieser eine unbekannte Figur, auch die meisten Ortsansässigen kennen den Kallendresser nicht. Für uns Grund genug, ihm an dieser Stelle einen kleinen Exkurs in die Vergangenheit zu widmen:

Die Geschichte des Kallendressers geht zurück bis ins Mittelalter. Ursprünglich war die Figur des Kallendressers in einem Relief am Haus mit der Nummer 40 am Alter Markt zu finden, doch sie wurde zusammen mit dem Haus im Zweiten Weltkrieg zerstört. Auf diesem Relief verrichtete der Kallendresser seine Notdurft (»dress«) in eine Abflussrinne (»Kall«), was zu seinem Namen führte. Doch nicht nur am Alter Markt war und ist der »Rinnenscheißer« zu finden: Auch am Rathausturm treibt die Figur ihr Unwesen. Dabei ist der Kallendresser vom so genannten »Kölner Spiegel« zu unterscheiden, der nicht wie der Kallendresser im Profil dargestellt ist, sondern der dem Betrachter seinen blanken Hintern entgegenstreckt und dabei den Kopf zwischen die Beine steckt. Die heutige Figur des Kallendressers am Alter Markt bildete Ewald Mataré, ein deutscher Bildhauer, Anfang des 20. Jahrhunderts nach. Im Gegensatz zum auf dem Relief abgebildeten Kallendresser verrichtet der Nachfolger sein Geschäft nicht mehr in eine Rinne, sondern streckt dem Betrachter – im Profil – sein nacktes Hinterteil entgegen. Seither kümmerte sich das Kölner Original Jupp Engels um den Erhalt der traditionellen Figur. Nach dem Krieg ließ er das Haus mit der Nummer 24 errichten, den Kallendresser von Mataré nachgestalten und ihn an dem Haus, das heute unter Denkmalschutz steht, anbringen. Zudem führte er einen Orden mit selbigem Namen ein, den diejenigen Bürger erhalten, die sich für die Kölner Brauchtumspflege verdient gemacht haben.

Doch warum sollte mitten in Köln eine Figur zu finden sein, die in aller Öffentlichkeit ihre Notdurft in eine Regenrinne verricht? Sicher, die Kölner sind bekannt für ihren recht eigenen und derben Humor, und eigentlich wundert sich in Köln niemand so richtig über solche Abstrusitäten – aber trotzdem: Warum gibt es diesen kleinen Kerl, der sich einen Teufel drum schert, dass ihm alle Welt bei der Verrichtung seines Geschäfts zusehen kann? Und was will er uns damit sagen? Um den Kallendresser hat sich im Laufe der Kölner Stadtgeschichte eine Vielzahl an Sagen und Geschichten gebildet, die seine Existenz erklären wollen. Einer Sage nach drückt die Figur den Unmut der einfachen Bürger gegenüber der Obrigkeit aus. Aus dem gegenüberliegenden Rathaus konnten die Ratsherren die Figur stets sehen und wussten so dauerhaft die Meinung des Volkes einzuschätzen. Unklar ist allerdings bis heute, ob wirklich die Unmutsäußerung der Bürger gegenüber den Ratsherren oder andere Gründe für den Ursprung des Kallendressers verantwortlich sind.

So gibt es auch ganz einfache und praktische Erklärungen, die Historiker für den Sinn der Figur aufführen: Menschen, die früher im Dachgeschoss der hohen Wohnungen lebten, seien schlichtweg zu faul gewesen, um ihre Notdurft unten im Hof – es gab schließlich im Mittelalter noch keine Toiletten – zu entrichten. Daher benutzten sie die Regenrinne. Auch weitere Theorien werden vorgebracht: Ein Schneider störte sich beispielsweise an dem Nachbarn, der die Wohnung unter ihm bewohnte und stets laut Trompete zu spielen pflegte. Als der Trompeter das Fenster öffnete, erledigte der Schneider sein Geschäft aus dem Fenster. In einem Gedicht wird die Existenz des Kallendressers auf eine Liebesbeziehung zwischen einer Frau und zwei Männern zurückgeführt. Zwei junge Männer stritten sich um eine hübsche Frau, die im selben Haus wohnte wie einer der beiden Männer. Wenn dann der Nebenbuhler das Haus betreten wollte, übte der Mann das genaue Zielen aus seinem Fenster.

Aber trotz dieser Vielzahl an Geschichten, die sich um den Kallendresser ranken, wird der Ursprung der Figur am häufigsten in den Unmutsbekundungen der Bürger gegenüber der Obrigkeit gesehen. In der Figur des Kallendressers äußerten sie auf bildhafte Weise ihre Meinung und konnten ihrem Unmut auf drastische Art Ausdruck verleihen. Wir möchten zwar nicht ganz so weit gehen und irgendwem wortwörtlich unser nacktes Hinterteil entgegenstrecken, doch die bildhafte Übertragung passt auch auf uns: Wir betrachten dieses Heft als Ausdrucksmittel, um unsere – für manche vielleicht auch unbequeme – Gedanken und Meinungen zu den verschiedensten Themen zu äußern. Ebenso wie der in Blei gegossene Kallendresser wollen wir auch mit unserem »Kallendresser« in Worten und Buchstaben uns mitteilen. Ähnlich wie der Kallendresser durch seine derbe und unverblümte Art, setzen auch wir uns über so manche Konvention hinweg, und wie so wie der Kallendresser stehen auch wir für Unangepasstheit und die freie Meinung.